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Ein Stück Dorf in der Stadt
Gespräch mit Klemens Fierke - einer von wenigen Bewohnern aus Olszynka/Walddorf - mit denen man sowohl die Vorkriegszeit als auch die Gegenwart verbindet.

Wie sah es bei Ihnen zu Hause vor dem Krieg aus?

Wie waren sieben, und ich das zweite Kind. Mein Vater war Deutsche und arbeitete als Schlosser an der Eisenbahn. Meine Mutter kam aus Kaszebe. Wir hatten ein Haus in Olszynce, welches zu der Zeit noch Walddorf hieß. Wir hatten einen Garten, wie viele andere Häuser in Olszynka.

Was war den das Besondere an Olszynka/Walddorf?

Außer vier Eigentümern größerer Flächen, wohnten hier hauptsächlich gewöhnliche Arbeiter, Beamte.Jeder hatte ein kleineres oder größeres Haus mit Garten. Im Garten pflanzten wir sowohl Gemüse als auch Früchte an. Es war ein Stückchen Dorf am Rande der Stadt.

Woher kamen die Menschen vor dem Krieg, welche Nationalitäten hatten sie?

In Olszynka lebte hauptsächlich eine deutsche Bevölkerung. Aus Erzählungen meiner Eltern weiß ich allerdings auch, dass Holländer dort gelebt haben. An der ul. Modra (Mittlere Trift) findet man noch Gegenden mit holländischen Häusern. Auf der anderen Seite des Kanals, am Ende der ul.Zawodzie (Untere Trift), nach Mot³aw± steht so ein Haus. Vor dem Krieg gab es dort ebenfalls ein Wirtshaus, zu dem die Holländer im Sommer per Paddelboot kamen, und im Winter mit Schlittschuhen. Sich amüsierten und wieder gingen. Leider, weiß ich nicht viel über die Vorkriegszeit, da ich im Jahre 1935 geboren bin. Die Vorkriegszeit kenne ich fast ausschließlich aus den Erzählungen meiner Eltern.

In der Vorkriegszeit sahen sich die Bewohner hier als Danziger - Fühlten sie jedoch auch, dass Sie in Olszynka lebten?

Natürlich sah man sich als Danziger an. Allerdings betonte man auch woher man kam. Wenn man sagte "ich gehe in die Stadt", meinte man damit das Zentrum Danzigs.

Wie verlief der Krieg in dieser Gegend?

Behalten wir im Gedächtnis, dass die Kriegsführung in Danzig drei Wochen dauerte - vom 9. März 1945 bis zum Ende des Monats. Viele Häuser wurden beschädigt oder vernichtet. Unser wurde am 9 März 1945 vernichtet. Wir überlebten dank eines Bunkers, den mein Vater vorher gebaut hatte. Ich erinnere mich daran, wie wir nach den Bombardierungen aus dem Bunker herausgekommen sind und unser vernichtetes Haus betreten haben. Mitten im Raum sahen wir eine unversehrte Statur der Gottesmutter. Alles war zerstört, allein die Figur stand. Bis heute steht sie im Hause meiner Schwester. Die Zeit während und nach den Gefechten war furchtbar. Gdannsk brannte, es gab keine Lebensmittel und kein Waser. Vor Erschöpfung starb mein kleiner, einjähriger Bruder. Wir beerdigten ihn in Garten. Damals gab es weder Ämter noch eine Kirche. Aus diesem Grunde bargen ihre Angehörige in ihrer Nähe. Bis heute, zünden wir jedes Jahr zum Allerheiligenfest eine Kerze am Grabe meines Bruders an.

Erinnern Sie sich noch daran, wie der Krieg anfing?

Ich erinnere mich daran, wie mein Vater nach Hause kam und meine Mutter fragte "Hörst du?". Es waren die Schüsse auf die Westerplatte - der Anfang vom Krieg.

Verließ nicht ein großer Teil der Deutschen die Gegend, als die Russen einmarschierten?

Nein. Die meisten bleiben hier bis zur Kapitulation. Erst dann stellte man Eisenbahnwagons an die Thornsche Gasse/Thornscherweg (ul.Toruñska( neben Am Leeger Tor / Mottlauergasseder (Dolnej Bramy). So verließen wir dann auch die Stadt.

Waren Sie zur Abreise gezwungen worden?

Nein. Einige Deutsche wurden aus ihren Wohnungen getrieben, wenn irgendein "politischer" Mensch sich ein Haus ausgesucht hatte. Man jagte sie aber nicht aus Danzig. Wir sollten nicht vergessen, dass der ganze Kriegsverlauf und auch sein Ende eine wilde Zeit war. Ich weiß noch wie die ersten Polen, die hier herkamen von Haus zu Haus mit Gewehren gingen. Nachts vernahm man Rufe nach Hilfe aus den umliegenden Häusern.

Wie sah die Reise nach Deutschland aus?

Am Anfang, noch vorm Einmarsch der Russen, wollten meine Eltern per Schiff nach Deutschland Gustloffem. Das Schicksal wollte es jedoch so, dass mein Vater diesen Plan wieder fallen ließ. Für die Abreise entschied er sich nach der Kapitulation. Wir nahmen was wir konnten und gingen. Bis heute stehen unter dem Zaun unseres Hauses zwei Kisten, in denen wir unsere Habseligkeiten trugen. Als erstes brachte man uns nach Pi³a. Von da wurden wir von einem zum anderen Eisenbahnwagon geworfen. Einmal fuhren wir in Wagons mit Kohle ein anderes Mal mit Vieh. Langsam näherten wir uns dem Westen. Wir kamen nach Schwerin und verbrachten dort einige Monate. Als uns klar wurde wie der Stand der Dinge in Deutschland und Europa war, entschied mein Vater weiter in den Westen zu ziehen. Schon damals waren wir uns bewusst, dass der Eiserne Vorhang fallen würde. Wir fuhren durch Duisburg, Düsseldorf, Karlsruhe und hielten direkt vor der holländischen Grenze an. Auch die Hungersnot, die damals überall herrschte ist mir im Gedächtnis geblieben. Zusammen mit meiner Schwester suchte ich nach Kartoffelschalen in Müllkippen. Wir sammelten in Feldern Ähren, die wir beim Bäcker gegen eine Scheibe Brot oder ein Brötchen eintauschten. Das war im Jahre 1945. Zu dieser Zeit waren die Lebensbedingungen in Polen nicht ganz so fatal. Und dort war es schon schrecklich genug. Alles begann sich langsam wieder zu ordnen; ich ging zur Schule, mein Vater arbeitete. Doch jeden Abend, wenn er nach Hause kam überkam ihn das Heimweh. Er überzeugte meine Mutter davon, zurückzukehren. Wir gingen zu den polnischen Transporten, die von der Zwangsarbeit endlich nach Hause zu.

Wie sah Olszynka bei Ihrer Ankunft aus?

Als die Deutschen am Ende des Krieges aus Danzig flohen, zerstörten sie einen Damm. Durch die Landsenke wurde alles überflutet. Es konnte nirgends hinfließen, also stand es dort von 1945-46 den Winter über. Alles verfaulte. Jeder Ast, jeder Baum. Nichts blieb. Der grüne Wald in Danzig verwandelte sich in eine Wüste. Die Polen, die sich hier nach dem Krieg im Niederstadt einquartiert hatten, fehlte Brennmaterial. Also suchten sie die Bäume und Zäune, die sie verbrennen konnten. Alles, was nicht durch das Eis eingeschlossen war, wurde vernichtet. Nachdem das Eis geschmolzen war und das Wasser weggepumpt worden war, sah man die Überreste der Natur. Es sah schrecklich aus.

Wie haben Sie Danzig in diesen ersten Monaten nach ihrer Rückkehr noch in Erinnnerung?
Wir umarmten uns. Wir lebten bei der Familie meines Vaters. Schließlich zogen wir in ein Haus nebenan - ohne Dach, Türen und Fenster- Alles war gestohlen worden. Zusammen mit meinem Vater reparierten wir das Dach. Danach mussten wir uns um das Grundstück kümmern, welches vor dem Krieg der rechtmäßige Besitz meines Vaters war.

Wie gingen die Behörde mit Ihnen und Ihrer Familie um?

Wir sollten unseren Nachnamen ändern lassen, mein Vater weigerte sich. Mein Vater sprach kein Wort Polnisch und lernte es auch nicht bis zum Ende seines Lebens. Er konnte nur "Guten Tag", "Sportpacket" und "Auf Wiedersehen" sagen. Er arbeitete in Trojan und reparierte die Eisenbahnplattform. Er besuchte einen Polnisch-Kurs, der mit einem Examen endete. Mein Vater konnte nichts. Und die Prüfer gaben schließlich auf und zeigten ihm am Ende ein Bild von Stalin und fragten ihn, wer er sei. "Generalissimus Stalin", antwortete mein Vater. "Gut- Sie haben bestanden.", lautete die Antwort.

Und wie verhielten sich Ihre Altersgenossen? Am Anfang spuckten sie mir ins Gesicht und beleidigten mich. Ich erinnere mich sogar daran, dass ein Priester mich aus dem Beichtstuhl rausschmiss. [Herr Klemens lacht]. Ich konnte damals auch kein Wort Polnisch. Es war Fastenzeit und ich ging zur Beichte. Natürlich beichtete ich auf Deutsch -Wie den sonst? Der Priester jagte mich davon. Als ich zu Hause ankam, nahm mein Vater mich zur Beichte in die Kirche des Heiligen Josefs. Ich bin nie mehr irgendwo anders zur Beichte gegangen. Bis heute kann man in dieser Kirche in deutscher Sprache beichten.

Trotz dieser Ausschreitungen sind sie aus Polen nicht weggezogen.
Meine Eltern schrieben neun Mal einen Brief, um eine Ausfahrt zu ermöglichen. Man erlaubte es uns nicht, auch wenn die Familie meines Vaters und dessen Kollegen bereits weggefahren waren. Ich erlernte den Beruf eines Schreiners und arbeitete mich vom Gehilfen zum Meister hoch. Ich war gewissenhaft und verspätete mich nicht zur Arbeit. Ich leistete meinen Wehrdienst im polnischen Lager. Ich gründete eine Familie und blieb.

Und wie sehen Sie Olszynka nach diesen vielen Jahren?

Irgendwie kann ich es nicht verstehen, dass vor dem Krieg, jeder etwas Land hatte und einen Garten mit Obst und Gemüse. Vieles bleibt heute unbenutzt. Dabei ist der Boden hier sehr gut. Damals zahlte es sich aus, heute nicht. Dafür wird es hier bald eine Kanalisation geben - Das ich das noch am Ende meines Lebens erleben kann (lacht).




Miro